Eine nationale Strategie der Schweiz für Long COVID und ME/CFS Patienten*innen

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Sehr geehrter Bundesrat, sehr geehrtes Parlament, sehr geehrtes BAG,
Sehr geehrte Konferenz der kantonalen Geshundheits-direktorinnen und -direktoren (GDK) und Fachärztegesellschaft FMH,
Sehr geehrte Kantons- und Stadtparlamente aller Schweizer Kantone,

EINE NATIONALE STRATEGIE DER SCHWEIZ FÜR LONG COVID UND ME/CFS-PATIENTEN*INNEN    

Der Verein ME/CFS Schweiz, der sich seit über 25 Jahren für Patienten und Patientinnen mit Myalgischer Enzephalomyelitis / Chronic Fatigue Syndrom (ME/CFS) einsetzt, möchte Sie dringlich auffordern, den Umstand anzuerkennen, dass nach Fallzahlen aus Grossbritannien jede zehnte Person, die positiv auf COVID-19 getestet wird, über einen Zeitraum von über zwölf Wochen oder länger an Erschöpfungssymptomatik und weiteren Symptomen leidet.(1) Diese Erkrankungsform wird international Long COVID oder Post-COVID-19 Syndrom bezeichnet. Da eine generelle Erschöpfungssymptomatik sowohl Long COVID als auch ME/CFS kennzeichnen, sind beide Syndrome nicht klar voneinander abzugrenzen. Ebenfalls liegen bereits Befunde vor, welche darauf hinweisen, dass beide Erkrankungen eine ähnliche Pathophysiologie aufweisen könnten.(2)
Aufgrund der durch die Corona Pandemie dramatisch angestiegenen Prävalenz von Long COVID und ME/CFS und der starken Einschränkungen der Betroffenen besteht sofortiger Handlungsbedarf.  

Die Problematik dieser Krankheitsbilder ist vielschichtig:

  • Typische Symptome sind(3) respiratorische Symptome (vor allem bei Long Covid Patienten), kardiovaskuläre Symptome, generalisierte Symptome wie Fieber und Schmerz, neurologische Symptome und psychologische Symptome.
  • Das Leitsymptom ist bei ALLEN die ausgeprägte Belastungsintoleranz (Postexertionelle Malaise / PEM bzw. Post-Exertionelle Neuroimmunologische Erschöpfung / PENE - wie es in der führenden Literatur am häufigsten benannt und als Kernsymptom klassifiziert wird), die meist dauerhaft und invalidisierend auftritt und nicht labortechnisch oder bildgebend nachgewiesen werden kann.
  • Long COVID und ME/CFS Patienten können sich ferner aufgrund ihrer massiven Erschöpfung nicht angemessen wehren, wenn sie belächelt oder als psychosomatisch krank diagnostiziert werden.
  • Erfahrungsgemäss werden ME/CFS Patienten häufig falsch behandelt, beispielsweise mit einer Bewegungstherapie, die oftmals grosse Folgeschäden anrichtet. Ähnliche Therapieansätze könnten folglich ebenfalls fälschlicherweise bei Long COVID zum Einsatz kommen.
  • Ein äusserst gravierendes Problem stellen zudem Einschätzungen von IV-Gutachtern dar, die bei ME/CFS Patienten oftmals zu früh Arbeitsfähigkeit feststellen. Dies hat nicht selten schwerwiegende gesundheitliche, soziale und finanzielle Folgen für die Betroffenen. Analog sind solche Fehlentscheide bei Long COVID Patienten zu antizipieren. Die bereits erhöhte Suizidrate von Long COVID und ME/CFS Patienten ist wegen solcher Fehleinschätzungen durch das System zusätzlich stark erhöht.  

Des Weiteren stehen derzeit keine Behandlungsformen weder für Long COVID noch ME/CFS zur Verfügung, welche den Patienten ermöglichen rasch wieder in ein funktionsfähiges Leben zurückzufinden. ME/CFS Patienten leiden zumeist etliche Jahre an der Erkrankung und werden aufgrund des anscheinend therapieresistenten Charakters der Erkrankung oftmals vom Gesundheitssystem fallen gelassen.
Die geschätzten wirtschaftlichen Kosten dieser Erkrankung belaufen sich auf hunderte von Millionen Franken pro Jahr. Vergleichbare Kalkulationen können für chronische Long COVID Patienten angestellt werden.  

Circa 10% der COVID-19 Infizierten werden nach dem primären Abklingen der grippalen Symptome die Diagnose Long COVID oder wenn die virale Infektion unentdeckt geblieben ist ME/CFS erhalten, weil sie nicht mehr vollständig genesen. Es sind viele junge Patienten und solche mittleren Alters darunter, die voll im Berufs- und Familienleben stecken. Es ist überaus wichtig, dass diese Personen effiziente Therapien erhalten, und nicht lediglich Bewegungstherapie oder Psychotherapie zum Erlernen des Umganges mit der Symptomatik.  

Deshalb fordern wir eine nationale Strategie für Patienten mit Langzeit-Fatigue, sprich ME/CFS und Long COVID Patienten!*  

(*Der Verein hat bereits Kenntnis vom Postulat 21.3014 zur Sicherstellung einer angemessenen Behandlung und Rehabilitation für Menschen mit Long COVID. Darin ist erkenntlich, dass der Bundesrat bereits Forschungen in Auftrag gegeben hat und dessen Resultate abwartet, um danach entsprechende Behandlungskonzepte an die medizinischen Fachgesellschaften zu delegieren. Der Ständerat hat jedoch vom BAG einen neuen Bericht verlangt.)  

Dringlich braucht es nun:  

  • Anlaufstellen/Beratungsstellen für beide Erkrankungsformen 
  • Bestmöglich validierte Behandlungs- und Betreuungskonzepte und Therapien unter EINBEZUG DER ERFAHRUNGEN VON ME/CFS PATIENTEN UND DESSEN SUPPORTSYSTEM UND DEN BEHANDELNDEN FACHPERSONEN UND VEREINEN etc.
  • Forschungsaufträge über die ME/CFS Pathogenese in der Schweiz
  • Und Aufklärung, Schulung und Anerkennung des Long COVID und des ME/CFS Syndroms als schwere multisystemische Erkrankung bei Ärzten/Gesundheits-Fachpersonal, Krankenkassen und den Sozialversicherungen wie die IV!*  

(*Aufgrund der enormen Berge an Krankenakten der Patienten und der hohen Komplexität der Symptomatik ist es unbedingt nötig, die Abklärungen und die individuelle Stabilisierung und Rehabilitation sowie die soziale und monetäre Abstützung besser zu koordinieren und zu gewährleisten. Häufig kämpfen Betroffene jahrelang mit den Ärzten, den Sozial- und Renten-Behörden sowie den Krankenkassen. Viele der Behandlungskosten werden nicht gedeckt.)  

Es ist dringlich, dass sich Ärzte und die Politik um die Langzeitfolgen nach Infektionen und weiteren vermuteten Ursachen wie Unfälle, Chemikalien-Exposition, Operationen und weiteren schweren Belastungen wie Krebs und Traumas - welche sich nicht innerhalb weniger Monate wieder stabilisieren – kümmern. Wer die Strategie am Ende umsetzten wird und muss, überlassen wir den Fachgremien und dem GDK.  

Wir hoffen auf eine klärende Kontaktaufnahme und Stellungnahme Ihrerseits.
Besuchen Sie für mehr Information unsere Homepage www.mecfs.ch.  

Mit bestem Dank und freundlichen Grüssen    

 

Für die Betroffenen und den Verein ME/CFS Schweiz:   

Nicole Spillmann, Präsidentin
nicole.spillmann@mecfs.ch  

Dr. Andreas Walther
Klinische Psychologie und Psychotherapie
Universität Zürich, Zürich, Schweiz
a.walther@psychologie.uzh.ch    

Referenzen
1 Office for National Statistics U. The prevalence of long COVID symptoms and COVID-19 complications. London, 2021 https://www.ons.gov.uk/news/statementsandletters/theprevalenceoflongcovidsymptomsandcovid19complications (accessed 11 of March 2021). 2  2 Perrin R, Riste L, Hann M, Walther A, Mukherjee A, Heald A. Into the looking glass: Post-viral syndrome post COVID-19. Med Hypotheses 2020; 144: 110055.
3 National Institute for Health and Care Excellence, Practitioners RC of G, Scotland HI. COVID-19 rapid guideline: managing the long-term effects of COVID-19. NICE Guidel 2020; : 1–35.  


Nicole Spillmann, Präsidentin ME/CFS Schweiz, und Dr. Andreas Walther, Universität Zurich    Verfasser der Petition kontaktieren