Rettet Haus Dietz


Gast

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2011-07-24 17:11

Die teilweise oder vollständige Rekonstruktion von Gebäuden, die einem Ort oder einer Landschaft einen besonderen Identifikationspunkt geben, kann nicht länger ein Tabuthema für die Denkmalpflege sein, wenn sie sich – zeitbedingt – nicht irgendwann selbst in schwere Wiedersprüche verwickeln will.
Niemand würde dem Campanile des Markusplatzes in Venedig, der scheinbar ohne jeden äußeren Anlaß und zum Glück ohne einen Menschen zu verletzen am 14. Juli 1902 in sich zusammenbrach, und anschließend vollständig rekonstruiert wurde, den Denkmalwert absprechen. Wie sagten die Venezianer damals mit einem ausgesprochenen Trotz: „Dov’era e com’era!“, sprich „Wo er war und wie er war“. Weil der Turm – ihr Turm - zum Bild dieses Platzes und der Stadt Venedig gehörte wie das Meer. Der Turm ist ein Denkmal – und selbstverständlicher Teil des die Stadt umfassenden UNESCO-Weltkulturerbes.
Niemand würde dem ab 1971 in 17 Jahren Bauzeit rekonstruierten Warschauer Königsschloss, dass zunächst durch die Angriffe der deutschen Luftwaffe im September 1939 beschädigt, danach von deutschen und österreichischen Kunstexperten restlos geplündert und 1944 nach der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes auf Befehl Himmlers mitsamt den Resten der Altstadt systematisch gesprengt wurde, den Denkmalwert absprechen. Das außen und innen! rekonstruierte Schloss und die bis 1955 ebenfalls rekonstruierte Altstadt von Warschau sind seit 1980 UNESCO-Weltkulturerbe und zugleich von Anfang an nationale Symbole Polens.
Und niemand würde – und da darf man sich jetzt schon sicher sein – der im II. Weltkrieg zerstörten und von 1994 bis 2005 rekonstruierten Dresdner Frauenkirche, einem der Höhepunkte des protestantischen Kirchenbaus in Europa, den Wert eines Denkmals absprechen, wenn der entsprechende Antrag eines Tages bei der Denkmalschutzbehörde in Dresden einginge. Auch dieser Bau ist ein Symbol, nämlich für die Zeit des europäischen Barocks ebenso wie die totale Kriegszerstörung, für den widersprüchlichen Umgang mit einer hochbedeutenden Ruine zu DDR-Zeiten im Spannungsfeld zwischen Denkmalpflege und Staat und schließlich für den in der Nachwendeeuphorie von engagierten Bürger Dresdens initiierten und schließlich mit weltweiter Unterstützung vollzogenen Wiederaufbau.
Und das 1928 errichtete Haus Dietz? Benannt nach seinem Entwerfer, einem der bedeutendsten Architekten der klassischen Moderne in Brandenburg, ausgezeichnet mit einer architektonischen Gestalt, die mit dem nebenan gelegenen, etwas älteren Haus Ulrich ein stadtbildprägendes Ensemble bildet und nach starken Bauschäden zu DDR-Zeiten abgerissen und seiner Qualität wegen umgehend wiederhergestellt wurde ̶ soll also ausgerechnet dieses Haus Dietz kein Denkmal sein? Wird hier also seitens der Denkmalpflege immer noch die reine Lehre angewandt, wo sie sich an andernorts schon längst eines besseren besonnen hat? Allein die besondere Rekonstruktions-Geschichte würde die Unterschutzstellung rechtfertigen. Wie oft sind denn zu DDR-Zeiten historisch wertvolle Gebäude komplett abgerissen und dann wiederaufgebaut worden? Abgerissen wurde genug, auch und gerade in Potsdam, aber danach komplett rekonstruiert? Höchst selten und das will was heißen!
Angesichts dessen wäre nun zu fragen, ob es nicht hohe Zeit ist zum Umdenken innerhalb der Denkmalpflege und abzulassen von der reinen Lehre, die zu Recht entwickelt wurde in einer Zeit, wo man recht unbedarft, um nicht zu sagen, schamlos jahrhundertealte Burgen, Schlösser, Kirchen und Dome bis zur Unkenntlichkeit restaurierte, auf angeblich „wissenschaftlicher“ Grundlage weiterbaute, neu formte und ihnen die Würde des Alters, der Unfertigkeit, einer langen Geschichte und des mitunter Ruinösen nahm. Doch die Lehre der neuzeitlichen Denkmalpflege entstand im Historismus, zu einer Zeit, als Deutschland überreich an Bau- und Kunstdenkmalen war und die Städte dieses Landes – Dresden, Nürnberg, Hildesheim, Halberstadt usw. – in ihrer Schönheit und Vollendung zum Besten gehörten, was Europa an Bewahrenswertem zu bieten hatte. Der von Deutschland begonnene und in mehr als einer Hinsicht verlorene Krieg und der autogerechte Wieder- oder besser Neubau der zertrümmerten Städte brachte Verluste mit sich, über dessen Ausmaße sich kein Mensch auch nur annähernd je wird ein Bild machen können. Denn was alles vernichtet wurde, läßt sich schon deshalb nicht mehr nachweisen, weil z.B. allein jedes einzelne der weit über 1.000 mittelalterlichen Fachwerkhäuser in Frankfurt am Main, die zwischen 1942 und 1944 vernichtet wurden, eine oft jahrhundertealte und hinter den Außenmauern vielfältig abgelagerte und nirgends dokumentierte Geschichte aufwies, von den Wandbildern, Schnitzereien und der mobilen Ausstattung mit alten Möbeln, Gemälden und Teppichen in den bedeutenderen Häusern mal ganz abgesehen.

Angesichts dieser Verluste, die auch einen nicht bezifferbaren Verlust an Kunst, Geschichte, Heimat und Identität bedeuten, bleibt eine große Verantwortung des Staates, der Stadt und der institutionalisierten Denkmalpflege vor Ort, sich jedes einzelnen Baudenkmals – ob auf der zentralen Liste oder nicht - mit größtem Bedacht anzunehmen und Abrisswünschen von Investoren, die lediglich spekulativen Renditeerwartungen geschuldet sind, eine klare Abfuhr zu erteilen. Es ist zwar derzeit völlig inopportun, aber dennoch sollte nach wie vor gelten: Gemeinwohl vor Eigennutz! Der Schutz historisch bemerkenswerter Substanz sollte im Übrigen auch und gerade dessen sensibles Umfeld umfassen – sei es landschaftlicher oder städtebaulicher Art. Diese Verantwortung besteht immer, ob mit oder ohne Bebauungsplan. Wer dieser Verantwortung als Stadtplaner, Projektentwickler oder Baubeigeordneter nicht gerecht wird, hat auf seinem Posten definitiv nichts zu suchen. Das Geld bekommen diese Leute schließlich für die abzufordernde Kompetenz und die zu tragende Verantwortung aus den Mitteln des Steuerzahlers und nicht für das zeitweilig bis zur Penetranz unerträglich häufige Schaulaufen und Statement-Absondern vor Kameras und Mikrofonen!

Damit wäre ich endlich beim Thema: Für mich stellt die Bebauung an der Leiblstraße eine grobe Verantwortungslosigkeit und Pflichtvergessenheit führender Vertreter der Stadt Potsdam bis hinauf zum Oberbürgermeister dar. Dieses Versagen einiger offensichtlich zu hoch bezahlter Vertreter in der Stadtverwaltung, für die es in sensibelsten Bereichen der Stadt – etwa zwischen Neuem Garten und Holländischem Viertel – keinen Anlass zum Innehalten und Überlegen angesichts solch fragwürdiger Bauprojekte wie dem genannten gab und gibt und die bis jetzt ihren Hintern nicht hoch bekommen haben, um hier ENDLICH einen Bebauungsplan auszuarbeiten, reicht, um deren Kompetenz und Verantwortlichkeit grundlegend in Frage zu stellen. Diese Leute zeigen sich äußerst sensibel, um nicht zu sagen hochempfindlich, wenn Bürger Potsdams auf deren Fehlentscheidungen, Eigenmächtigkeiten oder auch nur bürgerferne Arroganz verweisen und rächen sich mit Ignoranz (wie z.B. gegenüber dem Pro-Brauhausberg-Verein) oder gar mit Beleidigungsklagen, wenn man ihnen ihre eigenen Aussagen vor Augen führt. Mitunter empfehlen sie Bürgern auch klipp und klar einfach wegzuziehen, wenn ihnen das, was man ihnen an Gutem, Wahren und Schönen servierte, nicht passt. Man ist doch sehr erinnert an den großen Brecht:

„Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?“

Sensibilität also nur in eigener Sache, nicht wenn es zuvörderst um die ureigenste Aufgabe, sprich, um die Belange dieser Stadt geht. Meist sehen diese Leute, von denen ich spreche, sich und ihr Amt unlösbar miteinander verbunden, dann spricht man vom Amtsfürsten, mit Stempelfarbe gesalbt und auf die Niedrigkeit bürgerschaftlichen Engagements wie am Brauhausberg oder auch um die Leiblstraße herum mit Verachtung blickend. Der Pöbel, nicht wahr, ist nie zufrieden. Er setzt sich für seine Stadt ein – doch wer hat ihn dazu berufen? Ihm fehlt der Adel wahren Expertentums (auch wenn solches für manche Amtsträger nur behauptet wird und es für deren Bestallung im Nachhinein offensichtlich keine Voraussetzung schien) und ihm fehlt der Dienstwagen – mit dem man sich gern auch mal privat herumkutschieren lässt, wozu ist man schließlich gehobener Beamter im öffentlichen Dienst. Abstand muss schließlich sein!

Das Haus Dietz darf nicht fallen. Sein Erhalt wäre ein Sieg der Vernunft und der Demokratie, die immer nur vom Volke, und nie von saturierten Amtsträger ausgehen kann. Wenn Du willst, dass etwas geschieht, dann tue es selbst! Also, es liegt nicht im Bestreben und in der wie auch immer gearteten Kompetenz der Damen und Herren in der städtischen Verwaltung sondern einzig im bürgerschaftlichen Engagement, sich für ein bedrohtes, längst unter Denkmalschutz gehörendes Haus zu engagieren. Es heißt zwar diese Leute, von denen ich sprach, damit wie die Kuh auf die Weide zu tragen, aber wenn es nicht anders geht und sie selbst keinen blassen Schimmer irgendeiner Verantwortung sehen, dann in Gottes Namen tun wir es und reißen sogar das Gras aus und halten ihnen dasselbe vors Maul.