Wo ist die 6. Frau, DSV?

Sehr geehrter Herr Pfüller, sehr geehrter Herr Müssiggang,

Herr Pfüller, Sie haben am vergangenen Wochenende im Rahmen des Biathlon-Weltcups in Oberhof gesagt, dass Sie die Situation des deutschen Damen-Biathlons mit Sorge betrachten. Diese Sorge wird von uns, den Unterzeichnenden dieses offenen Briefs, geteilt. Allerdings sind wir der Ansicht, dass die Ursache dafür auch im Verhalten des Deutschen Skiverbandes zu sehen ist. Vor allem die Nominierungspraxis in den vergangenen beiden Saisons stößt bei uns auf großes Unverständnis.

Dass in der vergangenen Saison bei den Damen nur vier der möglichen sechs Startplätze im IBU-Cup genutzt wurden, haben viele Fans mit Erstaunen zur Kenntnis genommen. Der Tenor war damals bei einigen sicherlich: "Die Trainer werden sich schon etwas dabei denken." Doch in dieser Saison setzt sich diese Entwicklung geradezu dramatisch fort: Im IBU-Cup startete bei den Damen zunächst nur Evi Sachenbacher-Stehle, dann niemand mehr, nun in Otepää Sachenbacher-Stehle und Carolin Hennecke. Einer Sportlerin wie Maren Hammerschmidt, die in der vergangenen Saison die Gesamtwertung des IBU-Cups gewann und die noch Ende November 2012 im Weltcup eingesetzt wurde, wird die Möglichkeit verwehrt, ihren Sport auf internationaler Ebene zu betreiben und ihren Titel erfolgreich zu verteidigen. Gleiches gilt für junge Sportlerinnen wie Stefanie Hildebrand, Nicole Wötzel, Karolin Horchler und andere.

Das Fass zum Überlaufen brachte aber die Entscheidung der Trainer, in Oberhof und Ruhpolding nur fünf statt der möglichen sechs Starterinnen zu nominieren. Deutschland, eine der führenden Biathlon-Nationen, erlaubt sich den "Luxus", ausgerechnet bei den Heimrennen Startplätze ungenutzt zu lassen. Das finden wir mit Blick auf die zahlenden Zuschauer vor Ort, die ihre Eintrittskarten sicherlich in der Erwartung gekauft haben, im Sprint sechs deutsche Starterinnen zu sehen, ein wenig respektlos.

Zudem verwehrt man damit einer Sportlerin das "Erlebnis" Heimrennen und die Möglichkeit, Erfahrungen vor einer solch großen Kulisse zu sammeln. Warum ist im Damenbereich nicht möglich, was bei den Herren mit Johannes Kühn vorbildlich geschieht?

Disziplin-Trainer Gerald Hönig erklärte hierzu, dass sich keine der Damen "aufgedrängt" habe, dort sei nicht gekommen, "was nötig ist, um dem Ruf einer deutschen Biathlon-Damen-Nationalmannschaft gerecht zu werden." Sicherlich war es in der Vergangenheit immer Anspruch des deutschen Damen-Biathlons, in jedem Rennen eine Läuferin auf das Podium zu bringen. Doch die Zeiten ändern sich.

Dass viele der aktuellen Läuferinnen dazu nicht in der Lage sind, ist offensichtlich. Aber sollte man als Sport-Pädagoge seine Erwartungshaltung nicht vielmehr an dem Potenzial der Sportler ausrichten, anstatt Ziele zu formulieren, an denen die Sportlerinnen im Grunde nur scheitern können?

Herr Müssiggang, Sie erklärten auf der Pressekonferenz in Oberhof, dass die zweite Garde, der es nicht gelang, sich im Weltcup zu etablieren, sich nun mit den Juniorinnen messen soll. Dagegen ist nichts einzuwenden, aber warum geschieht das nicht auf internationaler Ebene im IBU-Cup, wo die Sportlerinnen sich nicht nur mit der nationalen, sondern auch mit der internationalen Konkurrenz messen können? Dass für Nachwuchstalente wie Franziska Preuß oder Laura Dahlmeier aktuell die Vorbereitung auf die Junioren-WM Priorität hat, ist nachvollziehbar. Aber warum werden solche Sportlerinnen nicht längst an das internationale Niveau herangeführt?

Beide dominieren im Deutschlandpokal seit Jahren ihre Altersklasse, warum setzte man sie nicht (zumindest hin und wieder) einer Konkurrenz aus, die sie wirklich fordert? Sicherlich sollte man Talente behutsam aufbauen. Allerdings liefen eine Magdalena Neuner und Kathrin Hitzer mit 19 oder 20 Jahren schon im Weltcup, während einer Laura Dahlmeier im gleichen Alter nicht einmal regelmäßige IBU-Cup-Starts gegönnt werden.

Das Auslassen der Startplätze im IBU-Cup ist unserer Meinung nach auch im Hinblick auf die offene U26-Europameisterschaft fragwürdig. Dort wird der DSV sicherlich wieder eine komplette Damenmannschaft stellen. Allerdings wird diese nach heutigem Stand zum Teil aus Sportlerinnen bestehen, die nicht wissen, wo sie im internationalen Vergleich stehen. Wir fragen uns, wie unter diesen Umständen eine gezielte Vorbereitung möglich sein soll?

Um eines klarzustellen: Es geht uns nicht darum, die sportliche Autorität der Trainer in Frage zu stellen oder eine Fan-Revolte anzuzetteln. Aber es werden Entscheidungen getroffen, die viele der Fans nicht nachvollziehen können und die von den Trainern nicht hinreichend erklärt werden. Und das ist offenbar nicht nur extern, sondern auch intern der Fall, wie Gespräche mit Sportlern und Angehörigen bestätigen. Gerade in einer komplexen Sportart wie dem Biathlon sollte man die psychische Komponente nicht vernachlässigen und dazu gehört für uns, dass die Sportler spüren, dass die Trainer Vertrauen zu ihnen haben. Das sehen wir derzeit nicht immer gegeben.

Mit Beatrice Winkler, Jennifer Horn, Anne Domeinski, Anne Preußler, Birgit Riesle, Cindy Philipp, Sandra Lesser, Nicola Memm, Svenja Lautenbacher, Christina Maierhofer, Jenny Adler, Ute Niziak aber auch Christoph Knie, Daniel Graf und Toni Lang haben in den vergangenen Jahren viele Sportler ihrer Laufbahn beendet – oft, weil sie keine Perspektive sahen. Mit Remo Krug, Jörn Wollschläger und Steffen Hauswald sind gute Trainer ins Ausland gewechselt. Mit Michael Rösch hat ein erster Athlet dem DSV den Rücken gekehrt. Uns treibt die Sorge um, dass andere diesen Beispielen folgen. Bitte sorgen Sie dafür, dass es nicht dazu kommt. Geben Sie den Sportlern eine faire Chance und die Gelegenheit, sich international zu beweisen.

Für die Fan-Initiative "Wo ist die sechste Frau, DSV?"

Markus Lüttgens

P.S.: Gerne laden wir Sie oder einen Vertreter des Verbandes ein, in unserer Facebook-Gruppe unter der Adresse https://www.facebook.com/groups/388229411268892/ an der Diskussion teilzunehmen.