Offener Brief: Corona-Teststrategie für Schüler/innen in Bayern

Interessengemeinschaft besorgter Eltern aus Bad Neustadt und Umgebung in Kooperation mit Eltern aus Alzenau und Umgebung 

An Herrn Kultusminister
Prof. Dr. Michael Piazolo MdL
Maximilianeum

D-81627 München

 

Bad Neustadt, 08.04.2021

 

Offener Brief: Corona-Teststrategie für Schüler/innen in Bayern

Abschrift an:
Landrat Thomas Habermann (Bad Neustadt)
Bürgermeister Michael Werner (Bad Neustadt)
Schulleiter/innen und Lehrer/innen
Lokale Presse

 

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Michael Piazolo,
sehr geehrte Damen und Herren,

vor den Osterferien erhielten wir Eltern Ihr Schreiben über die Schulleitungen, dass sich unsere Kinder zukünftig zweimal wöchentlich im Klassenverband, unter der Aufsicht der Lehrkräfte, zunächst freiwillig und nun verpflichtend, selbst testen sollen.

Mittels einer Einwilligungserklärung seitens der Eltern wurde hierfür um Zustimmung gebeten. Die Unterzeichner dieses offenen Briefes haben sich übereinstimmend dazu entschlossen, ihre Zustimmung vorerst zu verweigern.

Es gab viele Gespräche zwischen den Eltern im Klassenverband, als auch klassen- und schulübergreifend. Die geschilderte Teststrategie ist unserer Ansicht nach in vielen Punkten nicht zu Ende gedacht und schadet dem Kindeswohl mehr als sie nutzt. Als Eltern ist es unser oberstes Bedürfnis mit Respekt und gegenseitiger Rücksichtnahme eine zufriedenstellende Lösung für unserer Kinder und die Politik zu finden. Denn nur so kann uns Eltern und den Kindern ein Gefühl von Vertrauen und Verlässlichkeit in staatliche Institutionen zurück gegeben werden.

Aus den eben genannten Gründen in Begleitung vorangegangener Diskussionen stellen wir, bezogen auf die aktuell angedachte Verfahrensweise, folgende Forderungen:

  1. Datenschutz: Aus unserer Sicht kann der Datenschutz bei der geplanten Testung der Kinder im Klassenkollektiv nicht gewährleistet werden. Eine unkontrollierte Weitergabe des Testergebnisses eines Kindes ist hierbei vorprogrammiert. Auch Kinder haben ein Recht auf Privatsphäre - oder würden Sie sich gerne im Beisein all Ihrer Arbeitskollegen „öffentlich“ testen lassen? Wir fordern daher, durch organisatorische oder personelle Maßnahmen die Sicherstellung einer entsprechenden Vertraulichkeit.
  2. Infektionsschutz: V.a. bei sehr jungen Kindern im Grundschulalter kann eine korrekte Selbsttestung nach unserer Überzeugung nicht gewährleistet werden. Das Risiko, dass infektiöses Sekret unkontrolliert verbreitet wird ist immens. Zur Veranschaulichung: Mehr als ein Dutzend Kinder würden im selben Raum zeitgleich ihre Masken abnehmen und sich potentiell infektiöses Nasensekret entnehmen, dieses könnte sich dann wiederum im Klassenraum (durch bspw. Niesen) verteilen. Wir fordern daher die Sicherstellung des Infektionsschutzes eines jeden Kindes.
  3. Verletzungsgefahr: Wir Eltern haben außerdem massive Bedenken, dass sich die Kinder mit dem Stäbchen in der Nase selbst verletzen könnten. Gerade bei Kindern sind die Schleimhäute noch sehr empfindlich und einige Kinder neigen wesentlich häufiger als andere zu Nasenbluten. Wir fordern daher konkrete Strategien seitens der Verantwortlichen zur Minimierung der Verletzungsgefahr (Bsp. Angebot Alternative „Gurgeltest“).
  4. Präanalytik (fehlerfreie Umsetzung im Bezug auf korrekte Handhabung): Es bereitet uns Unbehagen, dass der/die Lehrer*in offenbar zeitgleich die alleinige Aufsicht, Anleitung, Kontrolle und Verantwortung für alle Kinder und die Testungen einer Klasse übernehmen soll. Ein Pädagoge kann unserer Meinung nach hierfür nicht zeitgleich alle Kinder intensiv genug betreuen. Als Beispiel sei hier auf die Präanalytik verwiesen: So kann ein unsachgemäßer Umgang mit den Teststäbchen  zur Kontamination des Selben führen und fehlerhafte Testergebnisse hervorrufen. Wir fordern daher eine Eins-zu-Eins-Betreunung der Schüler/-innen während des Selbsttests.
  5. Psychosozialer Aspekt: Welche Strategie von Seiten des wurde erarbeitet für Kinder, die ein positives Testergebnis haben? Die bisherige Information lautet: „… Erhält eine Schülerin oder ein Schüler ein positives Ergebnis (...) sollte sich die betroffene Person sofort absondern…(Zitat -Einwilligungserklärung-). Ist Ihnen überhaupt klar, dass es sich bei der betroffenen Person um ein Kind handelt, welches von einem Moment zum Nächsten „offiziell“ (im Beisein der Klasse) als „infektiös“ gilt und daher von der Klassengemeinschaft „abgesondert“ werden muss? Kinder können untereinander sehr grausam sein – auch an Grundschulen ist Mobbing bereits verbreitet. Wir fordern, dass sichergestellt wird, dass dieses Kind in diesem sensiblen Moment des „Absonderns“ aus dem Klassenverband von psychologisch geschultem Personal betreut wird, um Ängste erkennen und professionell reagieren zu können. Sie müssen nötigenfalls durchgehend betreut werden, bis die Eltern das Kind abholen können. Wir erwarten die namentliche Nennung dieser Betreuungspersonen und deren Qualifizierung. Das Kind darf unserer Ansicht nach unter keinen Umständen allein, „abgesondert“ in einem Raum sitzen und sich selbst überlassen sein! Vor der ersten Testung (und nötigenfalls auch wiederholend) müssen klärende Gespräche mit den Kindern durch kinderpsychologisch geschultes Personal stattfinden. Es muss gewährleistet werden, die Kinder auf positive Testergebnisse sensibel und einfühlsam vorzubereiten und mögliche Ängste rechtzeitig erkennen zu können.
  6. Lernzeit: Das zurückliegende Krisen-Jahr war für unsere Kinder von Entbehrungen und Einschränkungen besonders im schulischen Alltag geprägt. Die seelische Belastung durch Home-Schooling und den anschließenden Wechselunterricht, die Distanz zu den Klassenkameraden selbst im Freien und das Aussetzen von Ferien prägten den Schulalltag unserer Kinder. Schon seit Beginn der Pandemie wird der Staat dem Bildungsauftrag nicht mehr gerecht. Keiner von uns weiß momentan wirklich, wie es um die schulischen Leistungen der Kinder steht und ob der versäumte Stoff jemals nachgeholt und damit Benachteiligungen im späteren Werdegang verhindert werden können. Die Testung in der Schule wird weitere kostbare Lernzeit rauben und unsere Kinder zusätzlich belasten. Dabei ist nicht abzusehen, ob mit den Schnelltests  positive Effekte für unsere Kinder einhergehen werden. Wir fordern daher, dass durch Massentestungen an Schulen nicht noch mehr kostbare Lernzeit verloren geht. Wir fordern weiterhin, dass durch die geplante Teststrategie andere Maßnahmen verbindlich wieder rückgängig gemacht werden und jedes Kind sein uneingeschränktes Recht auf Bildung kontinuierlich wahrnehmen kann. Nach erfolgter Negativ-Testung muss der Unterricht im Klassenverband wieder stattfinden können und die Zeit des Home-Schoolings endlich ein Ende haben. Ebenso sehen wir für negativ getestete Kinder keine Notwendigkeit des durchgehenden Tragens einer Mund-Nasen-Bedeckung am Sitzplatz und im Freien. Gleichzeitig muss es durch Echtzeit-Übertragung des Unterrichts aus dem Klassenzimmer, den positiv getesteten Schülern möglich sein, am Unterricht weiterhin via Internet ohne wesentliche Einschränkung und Verzögerung teilzuhaben. 
  7. Angst um Arbeitsplatz: Zum weiteren Verfahren der „Abholung“ des vermeintlich infizierten Kindes durch ein Elternteil, bezweifeln wir ebenfalls, dass Ihre Strategie vollumfänglich durchdacht wurde. Aufgrund der aktuell unsicheren wirtschaftlichen Lage haben viele Eltern die Befürchtung, dass Arbeitnehmer mit Kindern durch  diese Art der Teststrategie benachteiligt würden. Wer haftet für den Arbeitsstundenausfall durch wiederholtes Abholen eines positiv getesteten Kindes, welches sich im Anschluss mittels Bestätigungstest (PCR) möglicherweise als negativ herausstellen sollte? Mitnichten wird jeder Arbeitgeber darüber erfreut sein, dass der Arbeitnehmer ad hoc seinen Arbeitsplatz verlässt. Wir fordern deshalb, dass eine eindeutige und rechtssichere Regelung mit dem Arbeitsministerium getroffen wird. Es muss eine passende Verordnung erlassen werden, die uns Eltern unabhängig von der ausgeübten Tätigkeit das Verlassen des Arbeitsplatzes ermöglicht und eine Lohnfortzahlung zusichert, auch wenn sich herausstellen sollte, dass der Schnelltest ein falsch-positives Ergebnis geliefert hatte.

 

Wir Eltern haben uns in den letzten Tagen intensiv mit der Selbsttest-Thematik auseinander gesetzt. Das privat organisierte und finanzierte Testen unserer Kinder über Ärzte und Apotheken, ist definitiv keine Alternative. Besonders in Zeiten, in denen viele Familien finanzielle Einbußen erleiden müssen, ist diese Hürde keinesfalls zu stemmen. 

Dennoch darf die Möglichkeit einer Testung außerhalb der Schulen nicht prinzipiell ausgeschlossen werden. Die Unterzeichner sind ausnahmslos fähig und willens, die mitunter bereits durch Selbsttests im häuslichen Umfeld erlangte Erfahrung bei der Durchführung solcher Tests weiter auszubauen um so die sichere Handhabung und verlässliche Ergebnisse zu garantieren.

  • Da unsere obigen Forderungen womöglich nicht so einfach und schnell umzusetzen sind, sehen wir als pragmatische Lösung nur, dass uns von der Schule die Selbsttests kostenfrei zur Verfügung gestellt werden, nötigenfalls protokolliert mit Chargen-Nummer und Unterschrift. Auch weniger invasive Spucktests müssen zunehmend angeboten werden.
  • Die Tests werden dann vor dem Schulbesuch unter elterlicher Aufsicht im privaten Rahmen durchgeführt. Im Falle eines positiven Resultates bleibt das Kind zu Hause und vermeidet so eine mögliche Verbreitung in der Schule und/oder Schulbus. Von den Eltern bestätigte negative Tests können von den Kindern mit in die Schule genommen und von der Lehrkraft eingesammelt werden. Damit wären die o.g. Punkte größtenteils aus dem Weg geräumt.

Uns ist absolut bewusst, dass nur wenn möglichst viele Kinder an den Testungen teilnehmen, zumindest ein Gefühl von Sicherheit entstehen kann. Gerade deshalb sehen wir uns als Eltern verpflichtet, Sie daran zu erinnern, unter welchen Voraussetzungen eine breite Testung im Sinne des allgemeinen Kindeswohls möglich ist.

Unsere Kinder haben keine Lobby, sie sind die Verlierer der Pandemie. Ihre Rechte wurden mit Füßen getreten, die langfristigen Folgen sind noch nicht abzuschätzen. Entwicklungspsychologen, Kinderärzte und Neurobiologen warnen vor den schweren Folgen einer traumatisierten Generation.

Testungen ja, aber nicht als unüberlegter Schnellschuss und schon gar nicht als zwingende Voraussetzung für die Teilnahme am Präsenzunterricht.

Die Politik hatte lange genug Zeit, sinnvolle Konzepte zu entwickeln. Es müssen nun endlich sinnvolle Rahmenbedingungen geschaffen werden. Denn wenn wir hier versagen, versagen wir an der zukünftigen Generation Mensch.

 

Die Moral einer Gesellschaft zeigt sich in dem was sie für ihre Kinder tut.
- Diedrich Bonhoeffer -

 

Mit freundlichen Grüßen
besorgte Eltern aus Bad Neustadt und Umgebung

 

Anlage: Unterschriftenliste


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