Rettet Haus Dietz


Gast

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2011-06-24 23:51

Was hier beseitigt werden soll, ist ein Stück Potsdamer Architekturgeschichte, und es bleibt sich dabei gleich, ob es sich um das Original oder das Abbild jenes bekannten Hauses Dietz handelt, das zusammen mit dem Haus Ullrich bis jetzt ein stadtbildprägendes Ensemble darstellt und für sich genommen den Wohn- und Schaffensort eines der bedeutendsten Brandenburger Architekten der klassischen Moderne definiert. Für Reinhold Mohr, Potsdamer Stadtarchitekt von 1918-1954 und u.a. Schöpfer des Regattahauses und des Musikpavillons im Luftschiffhafen, war Kollege Dietz trotz persönlicher Differenzen „der Architekt“ und mehr noch: „alleinstehend in seiner künstlerischen und technischen Begabung in Brandenburg“.
Was für eine besondere Ehre, welche die Stadt Potsdam diesem Architekten und letztlich sich selbst erweist, wenn sie den Ort, der noch am stärksten auf diese Ausnahmebegabung verweist, zugunsten einer Baulichkeit opfert, die wirkt, als wäre Albert Speer von den Toten auferstanden und hätte ein Bürohaus für die Deutsche Arbeitsfront entworfen.
Im Übrigen, wenn einzig nur das Original zählt, dann hätte ein Bau wie der Kölner Dom, an dem gewerkelt wird, seit der erste Maurer einen Feldstein in die Baugrube fallen ließ, ziemlich schlechte Karten. Und das Alte Rathaus in Potsdam auch, das nach 250 Jahren Umbau-, Kriegs- und Wiederaufbaugeschichte eigentlich nur noch aus ein paar mehr oder minder originalen Außenwänden besteht – und trotzdem unter Denkmalschutz steht. Wie viel Originalsubstanz darf es denn sein, damit etwas als schutzwürdig gilt? Ist nicht auch eine besondere zeittypische Ausprägung von Wert, zumal der Abschnitt der Kurfürstenstraße, um den es hier geht, seit 1928 nahezu unverändert sein Bild bewahren konnte.

Der Musikpavillon im Luftschiffhafen, direkt am Ufer des Templiner Sees, 1932 nach Plänen von Reinhold Mohr erbaut und in der aktuellen Ausstellung des HBPG: „Aufbruch in die Moderne – Architektur in Brandenburg 1919 bis 1933“ als Titelbild verwendet und geradezu wie eine Ikone gehandelt, steht nicht unter Schutz. Warum nicht? Er wurde bei der Unterschutzstellung des gegenüber liegenden und von 1925 stammenden Regattahauses – man höre und staune - schlicht vergessen, weil er von der Ufervegetation vollkommen zugewuchert war und somit vom Gutachter unbemerkt blieb. Aus diesem unglaublich simplen wie kaum nachvollziehbaren Grund unterblieb die Aufnahme in das Inventar des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege. Jahre später auf diesen Fauxpas aufmerksam gemacht, weigert man sich nun allerdings bei dieser Behörde diese Unterschutzstellung nachzutragen, da man auf dem Standpunkt steht, dass bei einer längst überfälligen Sanierung, die Originalsubstanz weitgehend ausgetauscht werden würde, mithin der Pavillon seinen historischen, sprich materiellen Wert verlöre. Das schutzwürdige Objekt besteht zu 100 Prozent aus Originalsubstanz kann aber nicht unter Schutz gestellt werden, weil es diese Substanz bei Wiederherstellung bis zu einem gewissen Grad einbüßen würde. Mit anderen Worten, auch der Musikpavillon von Reinhold Mohr, dessen Name übrigens in wenigen Tagen dem besagten Uferstreifen verliehen wird, könnte mir nichts dir nichts abgerissen werden und die Denkmalpflege – zumindest auf Landesebene - würde dazu vornehm schweigen. Schöne Aussichten: Haus Dietz -abgerissen, der Musikpavillon von Mohr – abgerissen. Und auf Nimmerwiedersehen verschwunden wie der größte Teil der historischen Speicherstadt in der Leipziger Straße, mithin 100 Jahre Industrie- und Gewerbegeschichte. Nicht einmal der kleine Wasserturm des Schlachthofes durfte als ortsbildprägendes Bauwerk stehen bleiben. Weil er nicht unter Schutz stand und der Eigennutz potentieller Investoren stets vor dem Gemeinwohl der Bürger steht und als Großtat gefeiert wird, was meist nur einer renditesüchtigen und bei allem Schaden auch noch steuerfinanzierten Kleingeistigkeit entspringt. Baufeldfreimachung nennt man das, wenn geschichtsträchtiger Boden durch Flächenabrisse wieder jungfräulich gemacht wird, so als sei nie etwas gewesen. Wirkliche Innovation, wirkliche Kreativität und Phantasie im Umgang mit dem Vorhandenen stört da nur – es rechnet sich nicht für Leute, denen die Bank und die Anleger im Nacken sitzen und die darum nicht anders denken können als von Zwölf bis Mittag!

Das Haus Dietz ist ein Zeugnis für eine bestimmte Periode der Architekturgeschichte, nämlich der trotz Bemühungen in den letzten Jahren noch immer zu wenig beachteten regionalen klassischen Moderne, die noch immer für viele beim Einsteinturm in Potsdam und bei der Hutfabrik in Luckenwalde zu enden scheint. Und es ist auch ein Zeugnis für jenes besondere Phänomen im Potsdamer Untergrund, nämlich der Schwemmsandrinne, die vom Heiligen See über den Bassinplatz, den Platz der Einheit und die Plantage hinter der einstigen Garnisonkirche zur Havelbucht führt. Ein Phänomen, das im Übrigen von den Architekten und Baumeistern der letzten 300 Jahre aus gutem Grund stets mit Respekt behandelt wurde; einem Respekt sowohl im Wissen um die Natur als auch aus Einsicht in das Machbare und Angemessene einer sich darin verortenden Architektur. Die drei großen Innenstadtplätze sind kein Zufall in ihrer Entstehung und die Leichtbau-Architektur der Häuser Dietz und Ullrich ebenfalls nicht. Der Besonderheit dieses und ähnlich historisch gewachsener Orte gerecht zu werden, kann nur gelingen unter zwei Voraussetzungen: Erstens mit Wissen um die natürlichen und historischen Gegebenheiten des Ortes, denn der Boden zwischen Kurfürsten- und Leiblstraße ist definitiv unberechenbar für große Blockbebauungen und das vor allem in Bezug auf bereits bestehende Baulichkeiten. Und zweitens mit Einsicht in die städtebaulich-architektonischen Erfordernisse, die nicht zuletzt aus diesem Wissen heraus erfolgen sollten - von der für gute Architekten selbstverständlichen Beachtung bereits bestehender Bebauung in der Umgebung mal ganz abgesehen. Diese beiden Voraussetzungen schließen für die Kurfürstenstraße die Zerstörung des Hauses Dietz ebenso aus wie dessen höchst unnötigen Ersatz durch diese bezugslose, vier- bis fünfgeschossige Allerwelts-Rendite-Kiste, die von den Machern – um nicht immer den Begriff des Architekten zu desavouieren – recht schamfrei aktuell dem Gestaltungsrat vorgesetzt wurde. Frei nach dem Motto friss oder stirb. Und wenn es im ersten Anlauf nicht gefressen wird, dann vielleicht im zweiten oder im dritten oder... Das Ding wird solange partiell umdekoriert und aufgewärmt bis der Lümmel diesen Brocken endlich schluckt und er uns aber allen eines Tages, nach dem die Gerüste gefallen sind, schwer im Magen liegen wird und das große Würgen beginnt in Erinnerung daran, was dafür geopfert wurde.

Es ist die – wie Shakespeare sagen würde – von keines Gedankens Blässe angekränkelte Unverfrorenheit einer ökonomistischen, wohl gemerkt nicht ökonomischen und schon gar nicht ökologischen Ausverkaufs- und Verwertungsmentalität, die sich einen Dreck um kulturelle, soziale, urbane und nicht zuletzt allgemein menschliche Belange schert. Die sich in betont betonierter Großkotzigkeit in Naturschutzgebieten ebenso austobt wie in historischen Innenstädten, in überschwemmungsgefährdeten Zonen längs der Flüsse wie auf einem so extrem sensiblen Baugrund wie hier an der Kurfürstenstraße. Erst diese krankhafte Sucht nichts gelten zu lassen, was sich nach Meinung etlicher Investoren nicht rechnet, führt am Ende zur Vernichtung historischer Orte, von Natur und Identifikationsmöglichkeiten, sprich Heimat und hin zu eine globalisierten Indifferenz, unter der wir alle mehr oder minder schon jetzt zu leiden haben.

Bleibt uns am Ende wohl nur die Hoffnung, dass angesichts mangelnder menschlicher Vernunft sich wenigstens Mutter Natur als standfeste, an Renditefragen uninteressierte und höchst empfindliche Dame erweist, die allemal noch nassforsche Ignoranz – auch auf Seiten gewisser Protagonisten bei der städtischen Verwaltung – dadurch bestraft, indem sie dem realisierten Projekt buchstäblich den Boden unter den Füssen wegreißt. Leider wird die besagte Dame dann auch bei vielen Häusern in der Umgebung ihr Mütchen gekühlt haben, werden sich nicht nur beim Haus Ullrich Risse in den Fassaden zeigen, Keller durchfeuchtet werden, Senkungserscheinungen bemerkbar machen und Goldfischteiche im Orcus verschwinden. Am besten wäre, man würde sie mit Respekt behandeln, aber was rede ich...