Die jungen Psychotherapeuten sind unentbehrlich für das Schweizer Gesundheitssystem

CLIQUEZ PLUS HAUT POUR LA TRADUCTION EN FRANCAIS

CLICCA SOPRA PER LA TRADUZIONE IN ITALIANO

Vielen Dank für die Bestätigung Ihrer Unterschrift durch das Klicken auf den Link , den Sie per Email erhalten haben

 

Zu Händen von Bundesrat Alain Berset, Vorsteher des Eidgenössischen Departements des Innern

Kopien an:

Bundesamt für Gesundheit (BAG)

Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK)

Sehr geehrter Bundesrat,

Im Namen der Psychologinnen und Psychologen in BAG-akkreditierter Weiterbildung in Psychotherapie der Schweiz und der Psychologinnen und Psychologen, die dieses  Anliegen unterstützen, weisen wir Sie schriftlich auf verschiedene Fragen im Zusammenhang mit dem neuen Anordnungsmodell und die Dringlichkeit der Umsetzung wirksamer und realistischer Massnahmen hin.

Die Änderungen der KVV und der KLV wurden vom Bundesrat am 19. März 2021 angenommen und traten am 1. Juli 2022 in Kraft, so dass Psychologen-Psychotherapeuten ihre Tätigkeit auf Kosten der OKP selbständig ausüben können. Das bis dahin geltende Delegationsmodell endet am 31. Dezember 2022. Dies ist ein großer Durchbruch, sowohl für Psychotherapeuten als auch für ihre Patienten, der von der Berufswelt seit langem gefordert wird. Wenn jedoch bis zum 1. Januar 2023 nichts unternommen wird, wird die Umsetzung des Anordnungsmodells, das einen besseren Zugang zur psychischen Versorgung für die Bevölkerung gewährleisten sollte, zu einem Rückgang der verfügbaren Plätze in der Psychotherapie für Patienten und zu einem massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit unter jungen Psychotherapeuten führen.

Um ab dem 1. Juli 2022 ein Abrechnungsrecht von der OKP zu erhalten, verlangen die neuen Bundesvorschriften (Art. 50c Bst. b KVV), dass Psychologen-Psychotherapeuten zusätzlich zu den zwei Jahren zu 100% der klinischen Praxis, die während ihrer postgradualen Ausbildung abgeschlossen wurden, das Äquivalent eines Jahres 100% klinischer Praxis in einer anerkannten SIWF-Einrichtung der Kategorie A oder B (oder C für Psychotherapeuten für Kinder und Jugendliche) absolvieren. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage des GIRT (Zusammenschluss der kantonalen Verbände der Psychologen in der Westschweiz und im Tessin) unter den in Psychotherapie akkreditierten Weiterbildungsorganisationen in der Westschweiz und im Tessin ergab jedoch, dass 58% der Psychologen in Ausbildung die Bedingungen für die Abrechnung der OKP im Anordnungssmodell nicht erfüllen. Das heißt, sie haben dieses dritte Jahr SIWF nicht abgeschlossen (oder sind nicht dabei, es abzuschließen), unabhängig davon, in welchem Jahr sie planen, ihre Psychotherapeutenausbildung abzuschliessen.

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat als Lösung vorgeschlagen, dass Institutionen, die als SIWF Kategorie C für Erwachsene anerkannt sind, auch für das dritte klinische Praxisjahr berücksichtigt werden. Dieser Vorschlag wäre natürlich eine positive und begrüßenswerte Entwicklung. Die Ergebnisse der GIRT-Umfrage zeigen jedoch, dass selbst wenn SIWF-Einrichtungen der Kategorie C für das nach dem Anordnungsmodell erforderliche dritte Jahr der klinischen Praxis akzeptiert würden, 48% der Psychologen in Ausbildung immer noch nicht die Bedingungen erfüllen würden, um auf Kosten der OKP abzurechnen.

Diese Situation hängt zweifellos damit zusammen, dass es beinahe keine solche Stellen gibt. Die SIWF-Klassifikation dient der Ausbildung von Ärzten, daher bieten viele dieser Standorte keine Ausbildungsplätze für Psychologen an. Aus den gleichen Gründen ist es für Organisationen, die typischerweise Psychologen in der Ausbildung beschäftigen, in der Regel nicht möglich, eine SIWF-Akkreditierung zu erhalten. Angesichts der sehr kurzen Zeiträume seit der Einführung des Anordnungsmodells hatte das System keine Zeit, sich an diese neue Anforderung anzupassen. Insbesondere die Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze in öffentlichen Gesundheitsinstitutionen wie den Universitätsspitälern Genf (HUG) oder dem Centre Hospitalier Universitaire Vaudois (CHUV) ist für die Kantone ein sehr langer und kostspieliger Prozess. Folglich wird die Mehrheit der sich in Ausbildung befindlicher Psychologen am Ende ihres 10 jahrelangem Studium ihren Titel zum Psychotherapeuten erhalten, ohne ihr SIWF-Jahr abgeschlossen zu haben und somit ohne die Bedingungen für die Beantragung ihres Abrechnungsrechts bei der OKP zu erfüllen. Sie werden nicht nur entlassen und gezwungen sein, ihre Patienten im Stich zu lassen, sondern bleiben arbeitslos, bis sie einen Job in einer SIWF-Einrichtung gefunden haben. Diese Situation ist sowohl aus Sicht der Psychologen als auch ihrer Patienten menschlich inakzeptabel. Es ist auch absurd, da sie perfekt qualifizierte und gut integrierte Fachkräfte, die bereits über solide klinische Erfahrung verfügen, aus dem Gesundheitssystem entfernen wird.

Zudem leiden Psychologinnen und Psychologen in Ausbildung in Psychotherapie unter Rechtsunsicherheit: Die Bundesverordnungen über das neue Anordnungssmodell präzisieren ihren Status nicht und legen nicht fest, ob ihre Leistungen mit der OKP abgerechnet werden können. Mehrere Krankenkassen haben diese Verordnungslücke bereits ausgenützt, indem sie sich geweigert haben, ihre Leistungen zu zahlen. Diese Unsicherheit hält erfahrene Psychologen-Psychotherapeuten davon ab, sie einzustellen. Laut der GIRT-Umfrage haben bisher 88% der Psychologen in Ausbildung ihre Leistungen der OKP in Rechnung gestellt. Diese Personen können möglicherweise nicht mehr praktizieren und entziehen ihren Patienten damit die notwendige Versorgung. Sie werden auch nicht in der Lage sein, ihren Postgraduiertentitel zu erhalten. Damit bricht das gesamte System zusammen, das die Ausbildung der nächsten Generation von Psychotherapeuten ermöglicht.

Insgesamt glauben wir, dass diese verschiedenen Themen die berufliche Situation tausender junger Psychotherapeuten bedrohen und die Nachsorge von zehntausenden Patienten in der ganzen Schweiz gefährden. Der Bereich der psychischen Gesundheit, der nach der Gesundheitskrise im Zusammenhang mit COVID-19 bereits besonders mit Anfragen gesättigt ist, wird unter einem Rückgang der Anzahl der verfügbaren Psychotherapieplätze für Patienten leiden und es wird an den erforderlichen Fachkräften fehlen, um die Zahl der Psychotherapeuten, die von der OKP unterstützt werden, zu erneuern.

Deshalb wenden wir uns heute mit Unterstützung der Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen (FSP) und der kantonalen Verbände der Psychologen in der Westschweiz und im Tessin an Sie, um folgende Forderungen zu stellen:

1. Wir fordern, dass für Psychologinnen und Psychologen, die sich vor dem 19. März 2021 (Datum der Verabschiedung der Verordnung über das Anordnungsmodell durch den Bundesrat) in eine vom BAG akkreditierte Weiterbildung in Psychotherapie eingeschrieben haben, die selben Übergangsbestimmungen gelten, wie für Psychologinnen und Psychologen, die ihren Titel vor dem 1. Juli 2022 erhalten haben, um ihr Abrechnungsrecht für die OKP zu erhalten, d.h. 3 Jahre 100% klinische Erfahrung  (Übergangsbestimmungen zur Änderung der KVV vom 23. Juni 2021, Punkt 5). Es ist in der Tat aus praktischer und finanzieller Sicht völlig unrealistisch anzunehmen, dass in den nächsten Jahren eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen in SIWF-Einrichtungen geschaffen werden kann und die Betroffenen, die am Ende der postgradualen Ausbildung stehen sind ohnehin für Ausbildungsplätze überqualifiziert. Diese Lösung würde es ermöglichen, auf die Dringlichkeit der Situation zu reagieren, indem die Anzahl der verfügbaren Plätze für Patienten beibehalten und eine Entlassungswelle unter jungen Psychotherapeuten vermieden wird, ohne dass zusätzliche Kosten im Zusammenhang mit der Schaffung neuer Stellen entstehen.

2. Wir möchten, dass der Gesetzgeber seine Absichten klarstellt, indem er das Recht zur Abrechnung an die OKP für Psychologen in Ausbildung in der Bundesvorschrift einschreibt. Diese Anpassung würde jede Herausforderung durch die Krankenkassen vermeiden und es somit ermöglichen, die Nachsorge von Zehntausenden von Patienten unter adequaten Bedingungen fortzusetzen und die notwendigen Bedingungen für die Ausbildung der nächsten Generation von Psychotherapeuten zu gewährleisten.

Wir sind überzeugt, dass der Bundesrat mit der Aufnahme des neuen Anordnungssmodells in die Gesetzgebung nicht eine derartige Situation erreichen wollte. Wir wissen auch, wie ernst Sie das Mandat der psychische Gesundheit nehmen und sich für dieses Thema einsetzen. Sie haben vor allem während der Pandemie mehrfach bewiesen, dass Sie wissen, wie man Situationen schnell löst, um pragmatische Lösungen zu finden. Wir hoffen, auf Ihre Unterstützung zählen zu können, denn nur Sie, Herr Bundesrat, können die jungen Psychotherapeuten in der Schweiz und ihre Patienten aus dieser Sackgasse herausführen.

Wir danken Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und senden Ihnen, Herr Bundesrat, unsere respektvollen Grüsse. 


Camille Ulmann, Anouchka Gauthier und Alexandre Caddoux    Verfasser der Petition kontaktieren