JA zum Biogas im Wipptal


Gast

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2014-09-05 18:24

Artikel vom Erker (lokale Zeitschrift Wipptal)

 

Strom aus der Güllegrube

 

Läuft alles nach Plan, geht im Frühling 2014 die seit Jahren geplante Bezirksbiogasanlage in Betrieb. Startschuss für den Bau ist voraussichtlich im September.

 

Am schwierigsten war die Suche nach dem Standort. Gemeinde für Gemeinde klapperten die Initiatoren ab – jahrelang – ohne Erfolg. Bis der Gemeinderat Pfitsch beim Fernheizwerk in Wiesen ein Areal auswies – und damit den Weg für eine Bezirksbiogasanlage ebnete.

 

Eine Biogasanlage vergärt biologische Masse wie Mist oder Gülle und produziert dadurch Biogas.
 Dieses wird in einem Blockheizkraftwerk zur Erzeugung von Strom und Wärme verwendet. Die vergorenen Biomassereste können zur Herstellung von Dünger verwendet werden.

 

Gleiches soll auch in der Bezirksbiogasanlage geschehen. Durch die Vergärung von Wipptaler Mist und Gülle kann die Anlage jährlich bis zu 8,2 Millionen Kilowattstunden Strom erzeugen, den die Betreiber ins Stromnetz einspeisen möchten. Dies bringt voraussichtlich jährlich einen Gewinn von bis zu 500.000 Euro ein. „Das ist nicht viel im Vergleich zur Gesamtinvestition“, so Helmut Döhler, der das Projekt seit mehreren Jahren als Techniker begleitet. Allein der Bau koste rund acht Millionen Euro. „Die Anlage macht keinen reich“, stellt Döhler klar. „Aber zumindest lösen wir ein Umweltproblem.“

 

Das Umweltproblem zu lösen ist laut Biogas Wipptal GmbH zufolge auch der primäre Grund für den Bau der Anlage. An sich ist Gülle nicht schädlich, zumal sie viele Nährstoffe wie Stickstoff, Phosphor und Kalium enthält. Zum Schadstoff wird sie, wenn zu viel davon auf dem Feld landet. Gülle und Mist enthalten Vorstufen von Nitrat, die sich im Boden in Nitrat und in die krebserregenden Stoffe Nitrosamin und Nitrit umwandeln und ins Grundwasser gelangen können.

 

Noch hält sich der Nitratgehalt in Südtirols Böden – gemessen nach EU-Werten – in Grenzen. Die Böden seien flach und der häufige Niederschlag verdünne den Nitratgehalt so stark, dass er nicht oder kaum im Grundwasser nachzuweisen sei, so Döhler. Doch die Werte steigen, wenn auch langsam, erste Trinkwasserquellen in Südtirol sind bereits mit Nitrat belastet. Die Biogasanlage könnte den Nitratgehalt auf den Feldern im Wipptal senken.

 

Unter Zeitdruck sind die Bauern auch wegen dem neuen EU-Gesetz, das ihnen verbietet, mehr als 1,5 oder zwei Großvieheinheiten Vieh pro Hektar Fläche zu halten. Um Sanktionen zu entgehen, bleibe den Bauern laut Döhler über kurz oder lang nichts anderes übrig als den Viehbestand und damit die Milchproduktion und das Einkommen zu reduzieren – oder den Mist und die Gülle einer Biogasanlage zu liefern, wo beides verarbeitet und auch außerhalb des Wipptals ausgebracht werden könnte.

 

Behandelter Dünger soll chemisch weit weniger aggressiv auf Pflanzen wirken als Rohgülle. Außerdem könne der Geruch laut Döhler um bis zu 95 Prozent reduziert werden. Auch das Dunkelbraun auf den Wiesen verschwinde, da behandelte Gülle dünnflüssiger sei und leichter von den Pflanzen abtropfe.

 

Rund 65.000 Tonnen Gülle und Mist werden es jedes Jahr angeliefert. Das sind rund 220 Tonnen pro Tag, umgerechnet zehn bis zwölf Ladungen, die die LKW wie Milchautos bei den Bauernhöfen abholen. Gülle wird in geschlossenen Tanks transportiert, Mist in LKW mit Abdeckung. Bei der Anlieferung wird die stinkende Luft in einem Annahmebereich abgesaugt und über einen speziellen Filter gereinigt.

 

Der bearbeitete Dünger wird nicht sofort auf den Feldern ausgebracht, sondern zunächst in so genannten Feldlagern deponiert. Wo und wie viele solcher Lager entstehen, hängt vom Standort der Ställe der Gesellschafter ab. Im Konzept sind derzeit mindestens fünf geplant.

 

Ein parallel laufendes Projekt sieht vor, einen Teil der getrockneten Gärreste zu hochwertigem Düngergranulat und einen Teil der Gülle zu Flüssigkonzentrat zu veredeln. Damit wäre der Dünger, der im Wipptal mehr als zur Genüge vorhanden ist, auch im Obst-, Wein- und Gemüseanbau in anderen Regionen einsetzbar. Für dieses Pilotprojekt, dessen Umsetzung fünf Millionen Euro kosten wird, hat die EU bereits einen Beitrag von zwei Millionen Euro zugesichert. Am Projekt arbeiten zudem die Universität Bozen, (Düngekreierung, Feldversuche), die Universität Turin und die Weinkellerei Tramin (Optimierung Anlage- und Maschinentechnik), das Unternehmen Zunhammer (Ausbringungstechnik) aus der Nähe von Chiemsee sowie ein Unternehmen für Flüssigaufbereitungstechnik bei Cremona mit.

 

Ein Gesetz verpflichtet die Gesellschaft, auch die Abwärme zu nutzen. Die Wärme (95°C), die die Biogasanlage bei der Verbrennung von Biogas mitproduziert, könnte an das Fernheizwerk der Thermo Wipptal abgegeben werden, der Rücklauf – Wärme von 70 bis 80° C – für die Düngerherstellung verwertet werden. Einen Vertrag zur Zusammenarbeit gibt es noch keinen, wohl aber entsprechende Gespräche.

 

Mit über 2.000 Großvieheinheiten wäre die Anlage zu gut die Hälfte ausgelastet. Grundsätzlich kann jeder Bauer zwischen Brenner und Franzensfeste, Ridnaun und Pfitsch der Gesellschaft beitreten und/oder Mist und Gülle anliefern. Derzeit feilt die Gesellschaft an einem Geschäftsmodell, das festlegt, wer sich unter welchen Bedingungen beteiligen kann, wie viel Gülle und Mist jeder einbringt bzw. wie viel Wirtschaftsdünger er abnehmen muss, falls er einen Überschuss liefert.

 

Wie viele Bauern sich noch an der Gesellschaft beteiligen werden, steht noch nicht fest. Derzeit zählt die GmbH eigenen Angaben zufolge 48 Bauern, weitere zwölf haben Interesse an einem Beitritt bekundet.

 

Andere zögern noch.

 

„Die Biogasanlage ist in den vergangenen Jahren ziemlich schlecht geredet worden“, so Döhler. Auch in den Ortsbauernräten gingen Meinungen teilweise auseinander. So wurde u. a. die Form der Gesellschaft kritisiert. Laut Präsident Klaus Stocker scheiterte die ursprüngliche Idee, die Anlage als Genossenschaft zu führen, da zu wenig Bauern Interesse an einer Beteiligung zeigten. So wechselte man zu einer Kapitalgesellschaft und einigte sich nach einer Aussprache mit Landeshauptmann Luis Durnwalder, die Beteiligung auf Wipptaler Bauern (30 bis 40 % der Anteile), die Landesenergiegesellschaft SEL AG und den Milchhof Sterzing aufzuteilen. Doch milchhofintern kam kein mehrheitliches Ja für eine Zusammenarbeit zustande. Auch die SEL AG stieg aus, da keine landwirtschaftlichen Beiträge gewährt werden, wenn sich ein nicht landwirtschaftlich tätiges Unternehmen an einer Kapitalgesellschaft beteiligt. So betrieben die 48 Bauern das Projekt weiter.

 

„Vielleicht“, vermutet Döhler, „warten einige Bauern auch ab, ob die EU-Richtlinie wirklich so streng interpretiert wird. Oder sie steigen erst ein, wenn die Anlage in Betrieb ist.“

 

Einige Wipptaler fürchten nun, dass der Viehbestand im Bezirk rapide ansteigen könnte. Döhler glaubt das nicht, „zumal viele Bauern kurz vor der Pensionierung“ stünden und „viele Höfe aufgelassen worden sind.“ Dafür würden eben andere Betriebe die Milchproduktion übernehmen, was auch notwendig sei, soll die Milchmenge auf Dauer einigermaßen konstant bleiben.

 

Die Befürchtung, durch die Anlage entledigen sich „die großen Bauern“ lediglich ihres Gülleproblems, während „die Kleinen auf der Strecke bleiben“, kann Stocker nicht nachvollziehen: „Jeder kann der GmbH beitreten“, und er wiederholt, dass es „hier nicht um wirtschaftlichen Erfolg“ gehe, sondern um eine „Lösung für den überbesetzten Viehbestand, den Düngergeruch sowie die Verschmutzung der Gewässer“, was auch dem Tourismus zugute käme.

 

Der ehemalige SEL-Präsident Stocker ist auf Wunsch der Gesellschafter Präsident der GmbH geblieben. Im Verwaltungsrat sitzen außerdem Vizepräsident Josef Mayr, Johann Frick, Andreas Stafler und Josef Plattner. Aufsichtsratsmitglieder sind Franz Pircher, Klaus Steckholzer und Christian Mair.

 

Probleme bereitet der Gesellschaft derzeit noch die Finanzierung. Unter dem ehemaligen Energielandesrat Michl Laimer hat die Landesregierung per Gesetz die Gewährung von Beiträgen für Biogasanlagen ausgesetzt. Die GmbH sieht gute Chancen, dass das Gesetz „reaktiviert und refinanziert“ wird. Banken gewähren Darlehen erst bei einem Eigenkapital von 30 Prozent. „Dieses Geld können die Bauern zur Zeit nicht aufbringen“, so Stocker.

 

Bis zum Baubeginn im Herbst gibt es zudem noch einige Vorbereitungen zu treffen. Um Zeit einzusparen, ließ die GmbH die Mittelspannungsleitung von der Kabine in Wiesen-Pfitsch zum Standort auf eigene Kosten verlegen. Auch die Hochspannungsleitung der Eisenbahn, die über das Areal der Biogasanlage verläuft, will die GmbH unterirdisch verlegen. Kosten: 2,8 Millionen Euro. Auch eine Straße ist noch zu bauen.

 

Nach den Sommerferien soll mit dem eigentlichen Bau der Biogasanlage begonnen werden, damit sie im Mai oder Juni 2014 in Betrieb gehen kann.

 

 

 

rb

 

 

 

„Wollen keine unkontrollierbaren Zustände“

 

Der Bau der Biogasanlage hat Befürworter, aber auch Gegner. Einer von ihnen ist der Stadtrat von Sterzing. Vor über einem Jahr hat er beim Verwaltungsgerichtshof einen Rekurs gegen die Ausweisung des Grundstückes in Wiesen eingereicht. Der Gemeinderat Pfitsch hatte das Areal u. a. unter der Bedingung gutgeheißen, dass eine eigene Zufahrtsstraße errichtet werden muss. Diese liegt aber auf dem Gemeindegebiet von Sterzing. „Diese Angelegenheit wäre zuerst mit uns zu regeln gewesen“, so Vizebürgermeister Markus Larch. Gegen den Standort neben dem Fernheizwerk spreche auch, dass wenige Meter entfernt bereits eine Straße existiert („Wozu braucht es eine weitere?“) und das Areal der Stadt eine wichtige Erweiterungsmöglichkeit biete. Larch gibt auch die „konzentrierte Verkehrs- und Geruchsbelästigung“ und die sensible Nähe zu Pfitscherbach und Eisack („Was passiert bei Hochwasser?“) zu bedenken.

 

Außerdem: Wer garantiert, dass die Anlage auf Dauer rentabel arbeitet? Es gibt Fälle, in denen Bauern ihre Biogasanlage zum Nullwert wieder verkaufen mussten. Die Käufer liefern seitdem „alles Mögliche an Abfall an“, nur um die Energieeffizienz einigermaßen halten zu können.

 

Laut Projekt der Biogas Wipptal GmbH sollen in der Bezirksbiogasanlage weder Futtermittel noch organische Abfälle und menschliche Fäkalien sondern ausschließlich Gülle und Mist vergoren werden, die – ähnlich wie im Milchhof bei der angelieferten Milch – stichprobenartig auf ihre Qualität geprüft werden.

 

Trotzdem. „Wir wollen keine unkontrollierten und unkontrollierbaren Zustände“, heißt es aus dem Stadtrat.

 

Derzeit arbeitet die Gemeinde Pfitsch mit der GmbH eine Konvention aus. Erfüllen die Betreiber alle von der Gemeinde geforderten Auflagen, steht einer Ausstellung der Baukonzession theoretisch nichts mehr im Wege. Für die Stadträte ist klar, dass sie auch diesen Akt sofort anfechten werden.